Buchtipp

Nun hab ich doch tatsächlich das Bloggen schon wieder leicht schleifen lassen, sowas aber auch. Allerdings war ich tatsächlich leicht abgelenkt durch so schöne Dinge wie Magendarm und gleich hinterher endlich mal Corona. Da kommt Freude auf.

Ich wollte nämlich eigentlich schon längst mal von zwei Büchern berichten, die ich mir während meines Klinikaufenthaltes gekauft habe. Dort gab es im Ort nämlich einen niedlichen Bücherladen mit viel passender Literatur für die Patienten. 😉

Das sind zwei Bilderbücher, eines für den Betroffenen selbst („Mein schwarzer Hund“) und eines für die Angehörigen und Freunde oder Bekannte des Betroffenen („Mit dem schwarzen Hund leben“).
Ich finde die Illustrationen sind so schön passend und zeigen ohne viele Worte, wie es einem geht, wenn man unter Depressionen leidet. Ich habe sie mit Verwandten und Freunden bereits mehrfach angeschaut und sie bieten eine wunderbare Unterstützung bei einem Gespräch darüber, was mit einem los ist. Sie helfen einem, zu sagen, wofür einem manchmal die Worte fehlen. Und auch Angehörige finden darin Situationen, die sie wahrscheinlich gut kennen und es erleichtert einem vielleicht, sie zu verstehen.
Wer gerne einen Einblick erhalten möchte, kann sich das erste Buch tatsächlich auch bei Youtube anschauen, allerdings finde ich persönlich, dass der Leser zu schnell liest und die Seiten nicht lange genug gezeigt werden. Ich brauche beim Anschauen mehr Zeit, um meine Gedanken zu sortieren. Aber so kann man einen Eindruck vom Buch gewinnen. Es lohnt sich der Kauf sowieso, wenn man in privater Runde über das Thema sprechen will, dann hat jeder so viel Zeit, wie er braucht, um sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Bei uns stehen sie momentan immer auf kleinen Bücherständern im Wohnzimmer und wenn es mir mal wieder nicht gut geht, schau ich selber auch noch mal rein.

Ich hoffe jedenfalls, ihr kommt alle positiv gestimmt im neuen Jahr an. Ich für meinen Teil bin jedenfalls sehr gespannt auf 2024, denn ich hab so einiges vor. Zum Beispiel auch, öfter mal was zu schreiben.

Bleibt schön gesund und einen guten Rutsch!

Du kannst mich nicht verletzen!

Wahrscheinlich denkst du jetzt sofort, dass das doch Quatsch ist. Jeder hat schon einmal jemanden verletzt oder wurde von jemandem verletzt. Und dennoch kamen wir in einem unserer Gruppentherapieterminen auf genau diesen Satz. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie wir dahin kamen. Wir haben wieder eines unserer Bilder besprochen, die wir in der Maltherapie regelmäßig erstellt haben. Und plötzlich sagte der Therapeut diesen einen Satz und ließ ihn im Raum stehen. „Man kann Andere nicht verletzen!“.

Nach einigen leisen „Protestschnaubern“ einiger Patienten und einer darauf folgenden Stille hallte der Satz erstmal eine Weile in unseren Köpfen nach. Irgendwann traute sich eine Patientin, die Stille zu durchbrechen und ihren Protest zu formulieren.

Aber fangen wir mal vorne an. Wir hatten ja schon das Thema, dass man manchmal in einer bestimmten Art und Weise handelt, weil man möchte, dass sein Gegenüber positiv über einen denkt und dafür seine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund rückt. Ähnlich ist es ja, wenn man die Befürchtung hat, man könnte einen Anderen verletzen, wenn man in einer bestimmten Art und Weise handelt. Absagen sind da ein ganz schönes Beispiel für. Man sagt lieber, man habe keine Zeit, als den wahren Grund („Ich möchte das nicht mit dir unternehmen!“ / „Ich habe keine Lust!“) zu nennen. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die sich schnell verletzt fühlen, einfach nur, weil man ihnen eine Absage erteilt. Das Wort „nein“ ist sowohl schwer auszusprechen als auch schwer zu ertragen.

Und dann gibt es da noch das Problem mit den einfachen Beschreibungen von Beobachtungen. „Dort hinten sitzt ein übergewichtiger, kleiner Mann“ ist wohl eine gute Beschreibung, wenn man von Ferne einen bestimmten Herren in einer Menge beschreiben will. Aber sag es bloß nicht, wenn er es hören kann. Es wird ihn sicherlich verletzen… Wo hört denn eine Tatsachenbeschreibung auf und fängt eine Beleidigung an? Wo endet die Höflichkeit? Kann ich mich dann einfach wie die Axt im Walde benehmen und ein ruhiges Gewissen haben, weil ich „ja eh keinen verletzen kann“?

Wie jetzt?!

Wir versuchen es also zu verstehen. Eine betroffene Person ist natürlich unter Umständen verletzt. Allerdings verletzt diese Person sich selbst. Denn nur, wenn die betroffene Person das Gefühl hat, dass der vermeintlich „Verletzende“ recht hat oder sie eben genau das Angesprochene ebenfalls als Makel oder Unzulänglichkeit sieht. Wenn diese Person nun aber ein positives Selbstbild hat und mit sich zufrieden ist, sich vollständig angenommen hat, dann wird diese „verletzende Satz“ ihr wahrscheinlich nur ein müdes Schulterzucken entlocken.

In unserer Gruppendiskussion schlug unser Therapeut uns vor, dass wir versuchen sollten, ihn zu verletzen. Er ermunterte uns, nun mal richtig einen rauszuhauen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Axt im Walde, bitte sehr. Zögerlich gab es ein paar klägliche Versuche, allerdings sahen wir schnell ein, man konnte ihn nicht aus der Reserve locken. Wir kannten ihn nicht gut genug und konnten uns eh nur auf Äußerlichkeiten beziehen. Würde er mit seinem Äußeren unzufrieden sein, wäre er eventuell verletzt. Er ist jedoch mit sich zufrieden und nimmt sich so an, wie er ist. „Lass die man reden, die haben ja eh keine Ahnung.“ Es liegt also in seiner Hand, ob wir bei unseren kläglichen und oberflächlichen Versuchen erfolgreich sind oder scheitern.

Letztendlich ist das mit tiefergehenden Dingen nicht anders. Nur dass man natürlich dem anderen nicht in den Kopf gucken kann. Wenn man innerlich mit etwas hadert, ein geringes Selbstwertgefühl hat und generell nicht viel von sich hält, dann bestätigt einen jede unbedachte Bemerkung von Außenstehenden, ohne dass diese das vielleicht ahnen. „Siehste, die denken auch, du kannst nix und bist nix wert!“ Da sind wir wieder bei dem Wert, den man sowieso in keiner Währung messen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: wenn du mit dir selbst zufrieden bist, hinter deinen Entscheidungen stehst und davon überzeugt bist, dass du das Richtige (für dich bzw. deiner Meinung nach) tust, dann sollte dich auch jede noch so unbedachte Bemerkung von Anderen kalt lassen. Du musst sie dann nicht persönlich nehmen und erst recht können sie dich nicht verletzen. Und es geht sogar noch weiter. Wenn du so handelst, dann könnte es sein, dass du auf einmal weniger Rücksicht auf Andere nimmst. Einfach, weil du auf deine Bedürfnisse hörst und nicht darüber nachdenkst, ob das eigentlich irgendeinem Anderen nicht passen könnte. Du gehst deinen Weg, und wenn jemand damit ein Problem hat, dann ist das ein PaL, ein Problem anderer Leute.

Und jetzt?

Aber ist das nicht emotionslos und kalt? Sollte man nicht etwas Empathie empfinden? Wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder so egoistisch verhalten würde?

Ja, wo kämen wir da hin?!

Ich denke, dass wir dann viel objektiver und emotionsloser über viele Dinge sprechen könnten, ohne dass sich der Eine oder die Andere gleich auf den Schlips getreten fühlt. Denn dieses Vorgehen bedeutet eben NICHT, dass man auf einmal die Axt im Walde ist. Es bedeutet schon, dass man sich darüber Gedanken machen sollte, ob man diesen oder jenen Weg einschlagen will und um welchen Preis. Und es bedeutet, das man seine Bedürfnisse formulieren darf, ohne dafür verurteilt zu werden.

Und wenn sich noch jemand fragt, was der Therapeut wohl zu folgendem Beispiel sagen würde: Ich weiß von einer Unsicherheit einer Person, weil ich sie gut kenne und mache absichtlich eine Bemerkung in der Richtung; mit dem Ziel, die Person zu verletzen. Dann würde er darauf sinngemäß antworteten: „Das ändert an dem Ganzen nichts, außer, dass Sie wohl ein Arschloch sind!“

Was andere von mir denken, geht mich nichts an!

Das ist so ein einfacher Satz und es ist super schwer, ihn so richtig klar zu kriegen und ihn dann auch „umzusetzen“.

Sind wir nicht alle so geprägt, dass es bestimmte Verhaltensweisen gibt, die sich einfach gehören? Möchte man nicht schon als Kind, also von Anfang an, gefallen? Man freut sich über jedes Lob, man gefällt gerne. Positive Verstärkung kennt man aus der Schule und auch aus der Hundeschule bzw. Tierpädagogik. Zeige ein gewünschtes Verhalten und ich belohne dich. In gewisser Weise bewerte ich damit das positive oder gewünschte Verhalten und signalisiere dir, dass du etwas wert bist. Keine guten Noten? Sorry, dann gibt es auch nichts. Nichts von Wert jedenfalls. Vielleicht einen mitleidigen Blick oder Nachhilfestunden.

Diese Prägung kann einem ganz schön das Genick brechen. Dann nämlich, wenn wir anfangen zu denken, dass wir eigentlich gar nichts mehr wert sind, wenn wir nicht Hervorragendes leisten. Als ich in meiner Therapie gefragt wurde, ob ich denken würde, dass alle Menschen gleich sind bzw. wann ein Mensch eigentlich was wert ist, da habe ich mich über diese Fragen gewundert und schon fast reflexhaft geantwortet, dass NATÜRLICH alle gleich sind. Was auch sonst?!

Leider kam ich aus der Nummer nicht so einfach raus und es wurde etwas weiter gebohrt und tiefer gegraben. Ich musste mir eingestehen, dass ich tief in meinem Inneren nicht daran glaubte. Ich weiß noch, dass ich in dem Moment, als mir das bewusst wurde, losgeheult hab. Und auch, als mir mein Verstand sagte, dass mein Wert nicht davon abhängt, was ich tue oder lasse, so brauchte ich doch noch eine weitere Therapie und viele Übungen und Gespräche, um das auch wirklich zu verstehen und zu glauben. Mein Wert ist unabhängig von dem was ich tue.

Wieso fiel es mir so schwer, diesen Gedanken zu verinnerlichen?! Ich denke, das größte Problem ist, dass mir wichtig war/ist, was andere denken. Ich schreibe „war/ist“, weil ich es immer noch nicht ganz ablegen kann. Es gibt immer wieder Situationen, in denen ich das Gefühl habe, ich müsste mich so oder so verhalten, es geht mir dabei aber nicht gut. Ich habe gelernt, dass man da „eben durch muss, das ist ja schließlich kein Beinbruch und man kann sich ja bitteschön auch einfach mal zusammenreißen“. Kennt ihr das? Aber warum eigentlich soll ich meine eigenen Bedürfnisse hintenan stellen, wenn sie mir ganz klar signalisieren, dass es zu weit geht?

Das Problem mit der Depression ist, dass man seine eigenen Bedürfnisse so weit nach hinten schiebt, dass man irgendwann gar nicht mehr weiß, dass man welche hat. Man muss erstmal mühsam wieder lernen zu bemerken, was man fühlt und was man gerne möchte. Denn eigentlich will man ja nichts mehr, außer vielleicht noch, dass alles ein Ende hat. Umso schwieriger ist es dann, diesen Bedürfnissen wieder Gehör zu verschaffen und, entgegen allen Erwartungen und Vorstellungen Anderer zu handeln.

Immer wenn ich vor solchen Problemstellungen stand, fragte mich meine Therapeutin: „Was wäre denn das Schlimmste daran, wenn Sie jetzt so handeln?“ Was wäre das Schlimmste? Immer wieder stellte sie diese Frage. Und zwar nach jeder Antwort, die ich gegeben hab. Und siehe da, am Ende landete ich immer wieder bei meinem Problem: der Andere denkt was Schlechtes über mich. Und dann? Was wäre das Schlimmste daran? Ja, was ist denn dann eigentlich, wenn derjenige was über mich denkt? Was ändert das eigentlich? Wendet der sich ab von mir? Wie schlimm ist das denn? Was hat es für Konsequenzen?! Möchte man mit so einer Person engen Kontakt haben? Ist es eigentlich nicht eher sein Problem, wenn er das nicht versteht oder negativ bewertet? Wenn es doch nach eigener Auffassung das Beste für mich ist? Warum glaube ich ihm mehr als mir selbst? Oder noch schlimmer: womöglich denkt er gar nicht so, wie ich es ihm unterjubel, ich rede mir das nur ein…

Seitdem versuche ich immer zu entscheiden, was für mich gut ist und danach zu handeln. Ich versuche, auf meine Gefühle und Bedürfnisse zu hören und nach MEINEN Werten zu handeln, nicht nach denen von jemand anderem. Das kann natürlich manchmal ganz schön unbequem sein und man muss erstmal lernen, ehrlich zu sein und das auch nach außen hin offen zu kommunizieren. „Nein, ich komme nicht zu deiner Babyparty, weil ich dieses amerikanische Gehampel unerträglich finde“ ist beispielsweise keine sehr diplomatische Rückmeldung zu einer solchen Einladung. Aber auch das kann man lernen und da kommt direkt ein Buchtipp zum Abschluss:

Am Arsch vorbei geht auch ein Weg

Alexandra Reinwarth

Der Mann bringt Blumen mit nach Hause

Nicht alles, was du denkst, ist wahr. Das ist auch eine Lektion, die ich gelernt habe und immer noch immer wieder aufs Neue lerne. Wie oft hat man eine bestimmte Vorstellung von einem Sachverhalt, von Reaktionen von Anderen oder von Beweggründen Anderer. Und wie oft liegt man falsch?!

Du darfst nicht alles glauben, was du denkst

Kurt Krömer (Buchtipp)

Um sich das bewusst zu machen, kann man ein ganz einfaches Gedankenspiel machen. Das schöne Beispiel „Der Mann/Freund/Lebensabschnittspartner kommt nach Hause und bringt Blumen mit“ kann bei unterschiedlichen Leuten ganz unterschiedliche Gedanken hervorrufen. Wenn du mitmachen möchtest, überlege dir JETZT, BEVOR du weiter liest, was du dir dabei denkst. Formuliere eben kurz gedanklich aus, was du denken würdest, warum er das macht. Und, damit auch andere Leser:innen was davon haben, schreib es sehr gerne nachher auch in die Kommentare, was du dir gedacht hast.

Im weiteren Beitrag spreche ich von dem Beispiel „Mann bringt Blumen mit, Frau reagiert.“ Das Ganze funktioniert natürlich ganz genauso für zwei Frauen oder zwei Männer in einer Partnerschaft, der Einfachheit halber schreibe ich aber immer nur von der Konstellation, die für mich passend ist.

Brautstrauß

Was könnte das also bedeuten?!

  • Er möchte mir eine Freude machen
  • Er hat was angestellt
  • Er will sich entschuldigen
  • Er will was von mir
  • Er hat sie sich selbst mitgebracht
  • Sie sind für jemand anderen

Fallen euch noch andere Dinge ein?

Woran liegt das also, dass man sich so unterschiedliche Dinge dabei denken kann? Die Tatsache alleine, der Mann bringt Blumen mit, ist einfach nur das, was es ist: eine wertfreie Beschreibung der Situation. Wir bringen durch unsere persönlichen Wertvorstellungen und Erfahrungen die Bewertung hinzu. Und je nachdem, wie wir sie bewerten, wird die Situation plötzlich evtl. positiv oder negativ. Das kann dann, wenn die Bewertungen nicht deckungsgleich sind, zu äußerst schwierigen Situationen führen: Der Mann hat sich selber Blumen mitgebracht, die Frau denkt, er hat was angestellt und Misstrauen und Eifersucht werden größer.

Um Missverständnissen vorzubeugen macht es also Sinn, ggf. mal nach den Beweggründen zu fragen, also einfach drüber zu sprechen. Interessanterweise würde das Beispiel „die Frau bringt Blumen mit, der Mann reagiert“ eine ganz andere Verteilung der verschiedenen Bewertungen ergeben, einfach weil unsere Rollenvorstellungen entsprechend geprägt sind. Die meisten würden wahrscheinlich denken, die Frau bringt sich natürlich selbst Blumen mit, die wenigsten würden denken, sie müsste sich entschuldigen oder will dem Mann eine Freude machen.

Und zu guter Letzt, denn warum soll ich alleine darunter leiden: Mein Mann bringt mir keine Blumen mit und findet es auch nicht schön, wenn ich mir Blumen für die Wohnung kaufe. Denn er findet es belastend, wenn er den Blumen beim Sterben zugucken muss. Und genau das ist es, was man tut. Man gibt Geld aus, um Blumen dann beim Sterben zuzugucken. Als er mir das eröffnete, war ich richtig sauer, dass er mir den Blumenkauf so „vermieste“. Aber wenn man genau drüber nachdenkt, ist das einfach eine Beschreibung der Situation. Und jedes Mal, wenn ich mir jetzt Blumen kaufen möchte, wäge ich ab, ob ich das wirklich will oder ob ich mir doch lieber eine Pflanze kaufe, die bei mir weiterleben kann. Ich kaufe oder pflücke viel weniger Sträuße und kümmere mich besser um meine Zimmerpflanzen.

Völlig verrückt!

Es gibt so Leute, die schauen Anderen beim Computerspielen zu…

eine Kollegin

Fassungslos erzählte mir eine Kollegin davon, dass ihr Sohn ja dauernd im Internet so Filme oder sowas schaut. Stundenlang sitzt er da und – man stelle sich vor – er guckt einer anderen Person beim Spielen irgendwelcher Computerspiele zu. Das ist ja total verrückt, er guckt anderen BEIM SPIELEN zu. Nicht mal mehr selber spielen kann er…

Ich habe das in dem Moment tatsächlich ein wenig ratlos und schulterzuckend zur Kenntnis genommen und weitestgehend unkommentiert gelassen. Zum Einen war ich in dem Moment nicht in der Verfassung, darüber gelassen zu sprechen und zum Anderen meldete sich sofort bei mir die alte innere Stimme, die mir bereits seit vielen Jahren sagte: „Du zockst immer viel zu lang! Kannst du nicht mal was Sinnvolles machen? Das hat doch alles keinen Wert! Erzähl das bloß keinem, wahrscheinlich bist du sowieso schon zocksüchtig. Normal ist das auf jeden Fall nicht!!!“

Als ich meinem Mann abends davon erzählte, auch wie skuril ich diese Situation (und das, was währenddessen in meinem Kopf vor sich ging) fand, meinte er nur trocken: „Komisch, wenn alle Welt 22 schwitzenden Männern dabei zuguckt, wie sie 90 Minuten lang versuchen einen Ball in eines von zwei Toren zu bekommen, wundert sich keiner. Dabei könnten die auch alle selber Fußball spielen.“

Ich musste laut auflachen und mir wurde klar, wie recht er hat. Man muss sich einfach immer wieder vor Augen führen, dass es anderen Leuten eigentlich völlig egal sein kann, womit man seine Freizeit verbrennt. Das können die andern so komisch finden wie sie wollen. Letztendlich geht es mich nichts an, was sie über mich denken und es sollte mir auch egal sein. Ich verurteile Leute, die sich Fußballspiele (oder sonst was) im Fernsehen anschauen auch nicht, weil sie nichts Sinnvolleres mit ihrer Zeit anfangen. Steht mir auch gar nicht zu. Solange sie mich damit nicht belästigen, dürfen sie damit glücklich werden.

Warum fällt es mir so schwer?

Seit ich Zugang zu einem PC habe, spiele ich für mein Leben gerne Computerspiele. Davor (und natürlich auch danach) habe ich viel Gesellschaftsspiele gespielt und überhaupt war das Spielen immer sehr wichtig! Und es gab und gibt Zeiten, in denen ich mich in Computerspielen verkrieche. Eskapismus nennt man das wohl. Realitätsflucht. Und genau das ist es. Das kann ich übrigens genauso gut mit einem Buch, einem Film oder einer Serie. Abtauchen in eine andere Welt, die Realität vergessen oder ausblenden. Ich finde das wichtig, damit man davon einmal Abstand gewinnt und nicht völlig am Rad dreht. Denn die Realität ist oftmals nicht wirklich auszuhalten, wenn man ernsthaft darüber nachdenkt.

Aber zurück zu meinem Problem damit. Im Laufe meiner Therapie kamen wir natürlich auf das Thema Spielen und auch die Flucht ins Spielen. Letztendlich kamen wir zu dem Schluss, dass keine Sucht vorliegt, da ich mein Leben noch grundsätzlich auf die Reihe bekomme. Mein Problem bestand eher darin, dass ich tief im Inneren mir selbst Vorwürfe machte, dass ich meine Zeit sinnlos vergeude. Und auch wenn ich diese Stimme für einige Zeit ausblenden konnte, so kam sie mit voller Wucht zurück und verursachte in mir ein derartig schlechtes Gewissen, dass ich nun SCHON WIEDER nichts Sinnvolles mit meiner kostbaren Lebenszeit angefangen habe, dass ich die letzten Stunden spielen nicht als Erholung sondern als Belastung und Enttäuschung empfand. Und das war letztendlich auch der Grund, warum ich quasi nie darüber sprach, dass das eins meiner Hobbies ist. Ich hatte und habe immer noch zwei unterschiedliche Arten von Freunden. Die eine Gruppe weiß das einfach nicht von mir und würde das (wahrscheinlich) auch nicht verstehen.

Was würde denn passieren, wenn Sie offen kommunizieren würden, dass Sie Computerspiele spielen?

Therapeutin

Ja, was eigentlich?!

  • Mein Gegenüber würde das nicht verstehen? („Ja und? Muss er das? Können Sie es nicht vielleicht erklären?“)
  • Mein Gegenüber könnte denken, ich wäre süchtig. („Ja und? Sie wissen es doch besser. Was kümmert Sie das?“)
  • Mein Gegenüber würde mich meiden. („Ja und? Möchten Sie gerne engen Kontakt mit so einer Person pflegen?“)
  • diverse weitere Alternativen kommen einem da noch in den Sinn, aber letztendlich bleibt immer wieder die Frage nach dem Realitätscheck übrig: Und wie schlimm wäre das wirklich?

Und die Antwort lautet: „Nicht schlimm.“ Es passiert mir nichts, wenn ich offen damit umgehe. Ja, es gibt evtl. Konfrontationen, weil jemand das komisch findet. Doch für mich ist das nur eine weitere Gelassenheitsübung. Dann findet er das eben komisch. Es geht mich nichts an, was er findet, er kann das so finden.

Aufgabe zum nächsten Termin

Kommunizieren Sie offen bei sich bietenden Gelegenheiten, dass eines ihrer Hobbies Computerspiele sind.

Therapeutin

Und als ich so nach Hause fuhr, wusste ich, dass ich etwas ausprobieren wollte, was ich immer schon irgendwie witzig fand: Ich wollte nicht nur darüber reden, ich wollte es sogar streamen. Ich hab schon oft selbst Let’s Plays oder Streams geschaut. Entweder, weil ich den Streamer und das Spiel einfach mochte oder weil ich das Spiel selbst nicht spielen konnte (PC zu alt, Spiel zu gruselig, Tipps abstauben, etc.). Ich habe mich also kurzerhand schlau gemacht, was ich dazu alles brauche und, schwuppdiwupp, hatte ich einen Kanal eingerichtet.

Und heute?

Nach über zwei Jahren streame ich immer noch und es macht wirklich Spaß! Ich habe viele Menschen kennengelernt, die ich zwar noch nicht unbedingt persönlich getroffen habe, aber mit denen ich viele lustige Abende verbracht habe. Mit vielen spiele ich inzwischen zusammen, einige sind zu Freunden geworden und wir besuchen uns gegenseitig. Einige warten regelrecht darauf, dass mal wieder „Streamtag“ ist und freuen sich, meine Stimme zu hören. Und eines weiß ich inzwischen ganz genau, Streamen ist alles mögliche, aber für meine Community und mich ganz bestimmt nicht sinnlos.