Du kannst mich nicht verletzen!

Wahrscheinlich denkst du jetzt sofort, dass das doch Quatsch ist. Jeder hat schon einmal jemanden verletzt oder wurde von jemandem verletzt. Und dennoch kamen wir in einem unserer Gruppentherapieterminen auf genau diesen Satz. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie wir dahin kamen. Wir haben wieder eines unserer Bilder besprochen, die wir in der Maltherapie regelmäßig erstellt haben. Und plötzlich sagte der Therapeut diesen einen Satz und ließ ihn im Raum stehen. „Man kann Andere nicht verletzen!“.

Nach einigen leisen „Protestschnaubern“ einiger Patienten und einer darauf folgenden Stille hallte der Satz erstmal eine Weile in unseren Köpfen nach. Irgendwann traute sich eine Patientin, die Stille zu durchbrechen und ihren Protest zu formulieren.

Aber fangen wir mal vorne an. Wir hatten ja schon das Thema, dass man manchmal in einer bestimmten Art und Weise handelt, weil man möchte, dass sein Gegenüber positiv über einen denkt und dafür seine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund rückt. Ähnlich ist es ja, wenn man die Befürchtung hat, man könnte einen Anderen verletzen, wenn man in einer bestimmten Art und Weise handelt. Absagen sind da ein ganz schönes Beispiel für. Man sagt lieber, man habe keine Zeit, als den wahren Grund („Ich möchte das nicht mit dir unternehmen!“ / „Ich habe keine Lust!“) zu nennen. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die sich schnell verletzt fühlen, einfach nur, weil man ihnen eine Absage erteilt. Das Wort „nein“ ist sowohl schwer auszusprechen als auch schwer zu ertragen.

Und dann gibt es da noch das Problem mit den einfachen Beschreibungen von Beobachtungen. „Dort hinten sitzt ein übergewichtiger, kleiner Mann“ ist wohl eine gute Beschreibung, wenn man von Ferne einen bestimmten Herren in einer Menge beschreiben will. Aber sag es bloß nicht, wenn er es hören kann. Es wird ihn sicherlich verletzen… Wo hört denn eine Tatsachenbeschreibung auf und fängt eine Beleidigung an? Wo endet die Höflichkeit? Kann ich mich dann einfach wie die Axt im Walde benehmen und ein ruhiges Gewissen haben, weil ich „ja eh keinen verletzen kann“?

Wie jetzt?!

Wir versuchen es also zu verstehen. Eine betroffene Person ist natürlich unter Umständen verletzt. Allerdings verletzt diese Person sich selbst. Denn nur, wenn die betroffene Person das Gefühl hat, dass der vermeintlich „Verletzende“ recht hat oder sie eben genau das Angesprochene ebenfalls als Makel oder Unzulänglichkeit sieht. Wenn diese Person nun aber ein positives Selbstbild hat und mit sich zufrieden ist, sich vollständig angenommen hat, dann wird diese „verletzende Satz“ ihr wahrscheinlich nur ein müdes Schulterzucken entlocken.

In unserer Gruppendiskussion schlug unser Therapeut uns vor, dass wir versuchen sollten, ihn zu verletzen. Er ermunterte uns, nun mal richtig einen rauszuhauen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Axt im Walde, bitte sehr. Zögerlich gab es ein paar klägliche Versuche, allerdings sahen wir schnell ein, man konnte ihn nicht aus der Reserve locken. Wir kannten ihn nicht gut genug und konnten uns eh nur auf Äußerlichkeiten beziehen. Würde er mit seinem Äußeren unzufrieden sein, wäre er eventuell verletzt. Er ist jedoch mit sich zufrieden und nimmt sich so an, wie er ist. „Lass die man reden, die haben ja eh keine Ahnung.“ Es liegt also in seiner Hand, ob wir bei unseren kläglichen und oberflächlichen Versuchen erfolgreich sind oder scheitern.

Letztendlich ist das mit tiefergehenden Dingen nicht anders. Nur dass man natürlich dem anderen nicht in den Kopf gucken kann. Wenn man innerlich mit etwas hadert, ein geringes Selbstwertgefühl hat und generell nicht viel von sich hält, dann bestätigt einen jede unbedachte Bemerkung von Außenstehenden, ohne dass diese das vielleicht ahnen. „Siehste, die denken auch, du kannst nix und bist nix wert!“ Da sind wir wieder bei dem Wert, den man sowieso in keiner Währung messen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: wenn du mit dir selbst zufrieden bist, hinter deinen Entscheidungen stehst und davon überzeugt bist, dass du das Richtige (für dich bzw. deiner Meinung nach) tust, dann sollte dich auch jede noch so unbedachte Bemerkung von Anderen kalt lassen. Du musst sie dann nicht persönlich nehmen und erst recht können sie dich nicht verletzen. Und es geht sogar noch weiter. Wenn du so handelst, dann könnte es sein, dass du auf einmal weniger Rücksicht auf Andere nimmst. Einfach, weil du auf deine Bedürfnisse hörst und nicht darüber nachdenkst, ob das eigentlich irgendeinem Anderen nicht passen könnte. Du gehst deinen Weg, und wenn jemand damit ein Problem hat, dann ist das ein PaL, ein Problem anderer Leute.

Und jetzt?

Aber ist das nicht emotionslos und kalt? Sollte man nicht etwas Empathie empfinden? Wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder so egoistisch verhalten würde?

Ja, wo kämen wir da hin?!

Ich denke, dass wir dann viel objektiver und emotionsloser über viele Dinge sprechen könnten, ohne dass sich der Eine oder die Andere gleich auf den Schlips getreten fühlt. Denn dieses Vorgehen bedeutet eben NICHT, dass man auf einmal die Axt im Walde ist. Es bedeutet schon, dass man sich darüber Gedanken machen sollte, ob man diesen oder jenen Weg einschlagen will und um welchen Preis. Und es bedeutet, das man seine Bedürfnisse formulieren darf, ohne dafür verurteilt zu werden.

Und wenn sich noch jemand fragt, was der Therapeut wohl zu folgendem Beispiel sagen würde: Ich weiß von einer Unsicherheit einer Person, weil ich sie gut kenne und mache absichtlich eine Bemerkung in der Richtung; mit dem Ziel, die Person zu verletzen. Dann würde er darauf sinngemäß antworteten: „Das ändert an dem Ganzen nichts, außer, dass Sie wohl ein Arschloch sind!“

Ein Gedanke zu „Du kannst mich nicht verletzen!

  1. Moin Kefa,
    das ist knallhart, aber ich kenne diese Haltung – und ich muss zugeben, der innere Widerstand dagegen ist ziemlich groß. Mein Verstand folgt dem Therapeuten, keine Frage, er sieht das wohl sachlich richtig. Von außen und von oben.
    Wie soll ich damit umgehen, wenn jemand nicht so stabil ist und mein Verhalten, meine Äußerung bei ihm eine Verletzung auslöst? Kann mich das wirklich unbelastet lassen, muss ich mir keine Gedanken darüber machen, ob ich das hätte ahnen / wissen / unterlassen / verhindern müssen?
    Ich tendiere dazu, zu unterscheiden, ob ich sage: ihr könnt mich nicht verletzen! – weil ich mir sicher bin – oder ob ich mir sage, ich kann niemanden verletzen und damit die Verantwortung für die Sicherheit den anderen überlasse.
    Die Aussicht auf eine unkomplizierte ehrliche Kommunikation ist verlockend, das gebe ich zu und oft würde ich wirklich gerne einfach sagen, was ich denke, sehe. Aber möchte ich das wirklich tun, wenn ich nicht ganz sicher bin, der andere ist stark genug, das auszuhalten?

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